AUTOHAUS 2030: Innovate or Resignate
Pessimistische Prognosen für den Automobilhandel
Dem traditionellen Automobilhandel wird auf breiter Front eine düstere Zukunft vorhergesagt: Sinkende Erträge, Aufgabe von Händlerbetrieben, wenig Zukunftspotential, keine Visionen. In der Tat ändern sich die Geschäftsgrundlagen für Kfz-Betriebe massiv:
- Umstellung vom selektiven Vertriebsmodell auf Agentur- und Direktvertrieb
- Umweltdiskussion und Mobilitätswende, vor allem in den Metropolregionen
- E-Mobilität mit ihren Auswirkungen auf Ladeinfrastruktur und Wartung
- Digitalisierung am Fahrzeug und in den Kundenbeziehungen.
Vor allem im Verkaufsprozess verdrängt die digitale Informationsgewinnung im Internet den physischen Beratungsprozess vor Ort, allenfalls die Probefahrt ist noch ein Anreiz für den Besuch im Autohaus – wenn sich die Interessenten überhaupt für einen Kauf entscheiden und nicht schon vorher in Richtung Abo- oder Sharingmodell oder Online-Plattform abgebogen sind.
Höchste Zeit für ein Umdenken in der Branche, aber wo liegen die Chancen für eine Neuausrichtung, wie kann sich ein Händler auf die Zukunft einstellen?
Assets der Händler: Beziehungspflege und Immobilienbestand
Mit dem Agenturmodell wird der Hersteller Vertragspartner des Kunden, d.h. die „Herrschaft“ über die Daten geht auf ihn über. Für den Kunden hat das aber nur eine untergeordnete Relevanz, er wird nach wie vor im Verkaufspersonal seines Händlers seine Bezugsperson sehen und je nachdem, wie intensiv diese Beziehung gelebt wurde, bietet sie Raum für zukünftige Entwicklung.
Die meisten Händlerbetriebe mit Vertragsbindung verkörpern aufgrund der strikten Vorgaben der Hersteller das Brand Design ihrer Marken in baulich hervorragendem Zustand mit guter Erreichbarkeit in Gewerbegebieten oder an Ausfallstraßen. Hier stellt sich die Frage einer intelligenten Nutzung der Immobilie in Bezug auf die sich wandelnden Anforderungen der Zielgruppen.
Immobilien sind mehr als gebaute Excel-Tabellen
Denn nicht nur die Autobranche steht unter Beschuss, auch die Immobilienbranche sieht sich unter einem gewaltigen Veränderungsdruck. Beide Branchen zusammenstehen nicht nur für über 25 % der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung, sie verantworten auch einen Großteil des jährlichen CO2-Ausstoßes. Dazu soll noch der Spagat aufgelöst werden, einerseits mehr Wohnraum zu schaffen, andererseits für eine klimagerechte Stadt den Versiegelungsgrad zu reduzieren.
Konstantin v. Abercron, Geschäftsführender Gesellschafter des Immobilienentwicklers ehret + klein, sieht in einer integrativen Quartierentwicklung große Chancen: „Wenn sich Autohäuser in ihrer Angebotsstruktur ganzheitlicher aufstellen, werden sie attraktiv für eine breitere Zielgruppe und können mehr Frequenz für ihre Immobilie generieren.“
Angesichts der immer knapper werdenden Wohnflächen in den urbanen Gebieten ist es für ehret + klein wichtig, dass auch der öffentliche Raum stärker bei Projektentwicklungen eingebunden wird (Stichwort „Third Place Living“). Nur durch ganzheitliche Konzepte, die sich an den Bedürfnissen der Nutzer orientieren und die Aspekte Nachbarschaft, Nachhaltigkeit, und Nachverdichtung berücksichtigen, lassen sich attraktive Orte mit hoher Aufenthalts- und Lebensqualität schaffen. Dadurch können neue Räume der Begegnung entstehen, die zum Verweilen einladen. Genau diese Komponente fehlt heute vielen Standorten, worunter – viel beklagt – die Besucherfrequenz der Innenstädte und der Einzelhandel leiden.
Autohäuser bieten hierbei besonders viele Entwicklungsmöglichkeiten, weil sie zumeist attraktive Standorte besitzen, deren Potenziale jedoch nur unzureichend ausgeschöpft sind. Insbesondere, wenn es um Mobilitätsthemen aller Ausprägungen und für alle Bevölkerungs- und Altersschichten geht, gibt es zahlreiche Ansatzpunkte, wie man Flächennutzung und Passantenfrequenz optimieren könnte. Abercron stellt fest: „Wir müssen aufhören, gewerbliche Immobilien nur als gebaute Excel-Tabellen für Investoren zu betrachten. Was spricht dagegen, in einem Autohaus morgens Yogakurse anzubieten, abends Volkshochschul-Seminare durchzuführen und am Wochenende Club-Abende oder Gaming-Veranstaltungen für Szene-Gänger?“
Das Autohaus wird digitaler
rpc – The Retail Performance Company sieht die Erfüllung der sich wandelnden Kundenbedürfnisse als zentralen Faktor für den Erfolg eines Autohauses im Jahr 2030.
Die zunehmend ineinandergreifenden Angebote der Mobilitätsinfrastruktur als Folge einer fortschreitenden Digitalisierung schaffen im Gegenzug für den Nutzer vielfältige Möglichkeiten von personalisierten Mobilitätskonzepten.
Hat der Autoverkäufer der Vergangenheit für seinen Kunden ein Fahrzeug konfiguriert, das immer ein Kompromiss für verschiedene Nutzungsanforderungen war, wird das Autohaus der Zukunft zur Konfigurationsplattform der individuellen Verkehrskonzepte, bei denen das ausleihbare Lastenrad genauso seinen Platz findet wie die elektrifizierte Sportlimousine, für die sich an einem Winterwochenende in den Bergen der bereits eingebaute Allradantrieb freischalten lässt (#functionsondemand).
Christian Feilmeier, Managing Director von rpc, fasst den sich daraus ergebenden Wandel des Autohauses zusammen: „Die Mobilitätswende in Verbindung mit der Digitalisierung erfordert die Neuausrichtung eines nutzerzentrierten Mobilitätsverständnisses im Autohaus. Wer es versteht, für seine Kunden ganzheitliche 360°-Erlebnisse zu schaffen, wird auch in Zukunft Traffic auf seinen Publikumsflächen erzeugen.“
Ob sich diese Flächen als Showroom mit vollgeparkten Ausstellungsflächen darstellen, bezweifelt Feilmeier. Mit den immer individuelleren Personalisierungsmöglichkeiten bei der Produktauswahl im Internet spielt der Besuch im Autohaus für die Produktberatung schon seit längerem eine untergeordnete Rolle; allenfalls die reale Probefahrt kann im Entscheidungsprozess noch punkten.
Die Veränderungen finden aber auch in der Werkstatt statt. Nicht nur die Elektromobilität mit ihrem sinkenden Wartungsbedarf lässt die Auslastung langfristig sinken. Die Branchenverbände* rechnen aufgrund der immer perfekteren Assistenzsysteme im Fahrzeug mit zurückgehenden Unfällen und daraus abgeleitet mit einem sinkenden Instandsetzungsbedarf. Die herstellerseitig betriebene Digitalisierung, Software over the air (SOTA) führt ebenfalls zu einem Rückgang des Werkstattgeschäftes. Die Digitalisierung in der Werkstatt sowie in den Kunden- und Geschäftsprozessen der Kfz-Betriebe wird zu einer Änderung der Beschäftigtenstruktur führen: IT-Spezialisten sind gefragt, auch im Hinblick auf drängende Themen zur Cyber Security, Portfolio Manager, die eine Rundum-Mobilitätsgarantie für die Nutzer sicherstellen und der Partner Service Manager zur Schaffung von Transparenz und maßgeschneiderten Lösungen in dem immer unübersichtlicher werdenden Ökosystem der Mobilitätsdienstleistungen.
Das Autohaus wird vielfältiger
Das Autohaus alter Prägung war ein Full-Service-Betrieb mit den Bereichen Neu- und Gebrauchtwagen, Service und Teilevertrieb, zusammengefasst zu After Sales. Je nach Hersteller waren Vorgaben des Corporate Designs zu erfüllen, das Branding und die einheitliche Wiedererkennung dienten als zentrales Identifikationsmerkmal.
Mit der Neu-Ausrichtung von AUTOHAUS 2030 auf die wandelnden Nutzeranforderungen wird sich auch sein Erscheinungsbild an die regionalen Ausprägungen anpassen. Die Stadtentwicklung der Zukunft wird weniger Versiegelung, aber intensivere Nutzung durch vertikale Strukturen fordern, die es anforderungsgerecht umzusetzen gilt.
Auf dem Land, weit entfernt von Metropolstrukturen und Verkehrswende, wird der Kfz-Betrieb herkömmlicher Prägung noch am längsten anzutreffen sein. Doch unabhängig von der Region lassen dezentrale Service Factories, saisonale Popup Stores – im Sommer auf Sylt, im Winter in den Bergen – viele Spielarten zu, mit denen sich Hersteller und Handel gleichermaßen bei ihren Kunden profilieren können.
Transformation – der Handel muss nachziehen
So offensichtlich die Mobilitätswende, die Digitalisierung und die Umstellung der Vertriebssysteme in vollem Gange sind, so sehr wirkt der Handel noch in den alten Strukturen verhaftet. Hier bedarf es einer konsequenten Analyse der Kundenbestände, einer Klassifizierung nach Personas, einer Beschreibung ihrer Bedürfnisse und Anforderungen als Grundlage einer nutzerzentrierten Strategieentwicklung. Gerade das Agentursystem bietet den Freiraum, um innovative unternehmerische Wege zu gehen, das Autohaus zu öffnen und neue Kundenerlebnisse anzubieten.
Christian Feilmeier sieht die Zukunft positiv, aber er sieht Handlungsbedarf: „Das Autohaus hat großes Potential, auch über 2030 hinaus, wenn es mehr unternehmerisches Profil gewinnt, indem
- es sich inhaltlich stärker an den Lebensgewohnheiten und Nutzerbedürfnissen seiner Kunden ausrichtet,
- sich als Immobilie konsequenter um Frequenzgenerierung und quartiermäßige Integration bemüht,
- in seiner Bespielung lebendiger wird, kuratierte Erlebnisse schafft und sich als interaktive Mobilitätsplattform versteht, in der durchaus auch noch Fahrzeuge verkauft werden können.“
Ehret + Klein GmbH
Die Ehret + Klein GmbH ist ein deutschlandweit tätiger Quartiers- und Projektentwickler, die zwei Disziplinen verbindet: Für Kunden steuert, revitalisiert und optimiert das Unternehmen Einzelobjekte und Immobilienportfolios. Für Investoren kreiert, plant, baut und vermarktet es Immobilien und Quartiere.
Durch die Verknüpfung dieser zwei Disziplinen bietet ehret+klein nicht nur das komplette Leistungsspektrum für den Lebenszyklus einer Immobilie an, sondern wartet auch mit deutlich verbesserten und praxiserprobten Lösungen auf. Denn mit dem Schulterblick der jeweils anderen Disziplin bildet sich eine fundierte und belastbare Kompetenz. Für das national und international tätige Unternehmen mit Sitz in Starnberg arbeitet ein Team von 90 Ingenieuren, Kaufleuten, Projektentwicklern und Spezialisten. Zu den anspruchsvollen Kunden gehören verschiedene europäische Family Offices und institutionelle Investoren. Geschäftsführende Gesellschafter der Ehret+Klein GmbH sind Konstantin von Abercron, Michael Baureis und Erdal Bektas. Die Ehret+Klein GmbH wurde 2006 von Michael Ehret und Stefan Klein gegründet, die heute Gesellschafter und Beiräte des Unternehmens sind.
Quellen:
Alle Bilder wurden mit Midjourney von rpc erstellt.
*Beschäftigungseffekte im Kfz-Gewerbe 2030/2040, Hrsg. e-mobil BW GmbH