Agil und kundenorientiert: Wunsch oder Wirklichkeit?
von Jannik Wahl
Hinter dem Begriff „Agilität“ verbergen sich Grundsätze und Methoden, die auch auf die Produktentwicklung anwendbar sind. Agiles Arbeiten, agile Organisation und ein agiles Management sind Schlagwörter geworden, die in Unternehmen immer häufiger fallen: von kleinen Start-ups, die schon immer agil waren (wie z. B. Spotify oder booking.com), bis hin zu großen Firmen mit einer traditionellen Unternehmenskultur und langwierigen Entscheidungsprozessen.
Von agilen Methoden wie SCRUM profitieren auch große, tarditionelle Unternehmen
Agile methods, including SCRUM, can help large companies drive digitalization and reep the benefits of a customer-centric business model.
But is this just a fairytale for traditional companies with historically grown structures?
Ist agiles Arbeiten für traditionelle Unternehmen mit historisch gewachsenen Strukturen nicht nur eine Wunschvorstellung? Studien zufolge ist die etablierte Unternehmenskultur für große Firmen in Deutschland eines der größten Hindernisse auf dem Weg zu einer digitalen Organisation. Die hierarchischen Strukturen mit festgelegten Prozessen und genau definierten Rollen und Verantwortlichkeiten, von denen diese Unternehmen häufig geprägt sind, sind nicht mit dem agilen Ansatz vereinbar, der für eine schnelle Ausführung, Kundenorientierung und Einfachheit steht. Können diese Unternehmen wirklich mithilfe agiler Methoden eine stärkere Kundenorientierung erreichen?
Ein Überblick über die fünf größten Hindernisse:
1. Unternehmenspolitische Interessen
In großen Unternehmen mit hierarchischen Strukturen herrscht oft ein System, bei dem der Fokus auf der Berichterstattung an das Management und die Führungskräfte der mittleren Ebene liegt. Dies kann der Kundenorientierung abträglich sein, da bei Entscheidungsprozessen die Interessen der Kunden gegenüber denen des Managements ins Hintertreffen geraten können.
2. Erfolg als Gefahr
Erfolg kann zu Selbstgefälligkeit führen und sich negativ auf die Bereitschaft für Veränderungen auswirken. In der Vergangenheit hing der Unternehmenserfolg in erster Linie vom Produkt ab. Heute ist ein solcher Fokus riskant, da Kunden heute ein viel stärkeres Interesse an den Marken und Firmen selbst zeigen. Zudem stellen unternehmenspolitische Interessen, strikte Berichterstattungsstrukturen, hierarchische Entscheidungsprozesse und ein eingeschränkter Entscheidungsspielraum für Mitarbeiter und Teams Hürden auf dem Weg zu mehr Kundenorientierung dar, da wichtige Entscheidungen von Personen getroffen werden, die nicht im direkten Kontakt mit den Kunden stehen. Es braucht nachhaltige Anstrengungen und einen Mentalitätswandel, um die Kunden stets im Fokus zu behalten – und es ist nicht leicht, dies in traditionellen Unternehmen zu erreichen.
3. Bereitschaft für Veränderungen
Auch der Unwillen, den Status quo zu verändern, kann eine Bremse darstellen.
Ein Kulturwandel im Unternehmen kann nur gelingen, wenn er von vielen Mitarbeitern vorangetrieben wird. Nötig ist ein ganzheitlicher Ansatz, der alle relevanten Stakeholder und internen Influencer einbezieht – was sich allerdings als schwierig erweisen kann. Natürlich sind kurzfristige Verbesserungen möglich, wenn einzelne Abteilungen oder Teams agile Methoden erfolgreich anwenden. Wenn sich jedoch andere Teams gegen diesen Ansatz stellen, kann dies zu Konflikten und Produktivitätseinbußen führen. Solche Situationen, in denen verschiedene Gruppen gegeneinander statt miteinander arbeiten, sind gar nicht ungewöhnlich.
4. Silos und Abhängigkeiten
Agile Methoden wie SCRUM beruhen auf der Zusammenarbeit funktionsübergreifender Teams. In vielen Unternehmen bestehen jedoch verfestigte Silos, die diese Form der Zusammenarbeit, die für eine agile Transformation unabdingbar ist, verhindern. Zudem behindern Abhängigkeiten in historisch gewachsenen IT-Strukturen den für diesen Ansatz charakteristischen Bedarf an Flexibilität und eine schnelle Ausführung.
5. Null-Fehler-Toleranz
Ein perfektes Produkt, das in kurzer Zeit entwickelt und dann schnell und erfolgreich am Markt eingeführt wird – eine schöne Vorstellung, die mit der Realität jedoch nicht viel gemein hat. Der agile Ansatz zielt auf eine schnelle Markteinführung – und dann entscheiden die Kunden, ob ein Produkt ihre Anforderungen wirklich erfüllt. Ist dies nicht der Fall, ist das zwar Produkt gescheitert, aber der damit verbundene Zeit- und Kostenaufwand hält sich in Grenzen. Viele Unternehmen, insbesondere in Deutschland, scheuen aufgrund ihres starken Premium- und produktorientierten Fokus jedoch vor diesem Ansatz zurück. In der Praxis bedeutet dies lange Produktentwicklungszyklen ohne jegliches Kunden-Input.
Diese fünf Stolpersteine müssen Unternehmen vermeiden, wenn sie ihren Kundenfokus mithilfe agiler Methoden verbessern möchten. Unabhängig von der Größe eines Unternehmens kann Kundenorientierung nur erreicht werden, wenn historisch gewachsene Strukturen aufgebrochen werden und ein Umdenken erfolgt.
Die Erfahrung zeigt, dass es sinnlos ist, der Herausforderung der Digitalisierung mit einem agilen Ansatz zu begegnen, wenn dieser nur oberflächlich umgesetzt wird. Vielmehr müssen Unternehmen fest von den Werten und Prinzipien überzeugt sein, die hinter agilen Methoden (wie z. B. SCRUM) stehen, und sie effektiv anwenden, um durch eine stärkere Kundenorientierung den Pfad zum künftigen Geschäftserfolg zu ebnen. Andernfalls bleibt „der Kunde im Fokus“ eine reine Wunschvorstellung.
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